Die Erzgebirgische Volkskunst
Von den Glanzzeiten des Erzabbaus zeugen heute noch viele volkstümliche Traditionen und natürlich die liebenswerten Holzfiguren, die sich oft dem Bergbau widmen. Nachdem Ende des 16. Jh. der Bergbau stagnierte, mußten sich viele Bergleute der Region neue Erwerbsquellen suchen. Da Holz als Rohstoff reichlich vorhanden war, bildeten sich im Laufe der Zeit verschiedene Berufe in der Holzbearbeitung heraus. Im Westerzgebirge war das die Holzschnitzerei, die besonders im Raum um Schneeberg und Annaberg ihren Ursprung hat und mit der sich die Bergleute bereits am Feierabend beschäftigt hatten.
Im Osterzgebirge um Marienberg und Seiffen entwickelte sich die Holzdrechselei. Seit Mitte des 17. Jahrhunderts gibt es die Teller- bzw. die Spindeldreher, die zunächst hauptsächlich Gebrauchsgegenstände wie Teller, Spindeln, Knöpfe usw. herstellten. Später entstanden Figuren wie Bergmänner, Engel und Pyramiden. Noch immer werden die erzgebirgischen Artikel meist von kleineren Handwerksbetrieben in liebevoller Handarbeit gefertigt. In jedem Artikel lebt ein Stück Tradition mit. Die Form der Artikel sowie Aussehen, Produktions- und Materialtechniken werden seit Generationen weitergegeben.
Besonders berühmt wurde das Erzgebirge durch die Erfindung des Reifendrehens, eine Kunst, die trotz aller Kopierversuche in asiatischen Ländern, nur im Erzgebirge ausgeführt wird. Nur erstklassige, frischgeschlagene oder gewässerte Fichtenstämmchen, für feinere Arbeiten auch Linde, Erle oder Birke, können zum Drehen verwendet werden. Scheiben mit einem Durchmesser von etwa 30cm werden an beiden Stirnseiten so bearbeitet, dass – nach dem Aufschneiden – im Profil das gewünschte Tier sichtbar wird. Danach wird der Reif in Segmente geschnitten, beschnitzt und getrocknet. Zum Schluss werden, wenn nötig, Ohren, Hörner und Schwanz angeklebt und bemalt.
Mit dem Reifendrehen wurde es möglich, Spielzeugtiere in vielen Größen, Tierarten und Varianten und vor allem in rationeller Massenproduktion zu niedrigen Preisen herzustellen. Das bemalte und bearbeitete Reifenvieh diente dann z.B. als Ausstattung für die so beliebte Arche Noah mit ihren über 200 verschiedene Tierformen, die über viele Jahre in den protestantischen Ländern das einzig erlaubte Sonntagsspielzeug war.
Alljährlich erscheinen in der Adventszeit in den Fenstern der Erzgebirgler der Engel und der Bergmann als Lichtträger. Der Bergmann, einige hundert Jahre älter als der Lichterengel, war schon im 17. Jahrhundert als Altarkerzenträger bekannt.Die ältesten Engel stammen aus dem 18. Jahrhundert. Mit dem Lichterengel und dem Lichterbergmann stellte der Bergmann sich selbst in seiner Festtracht und seine Frau als Engel dar. In einzelnen Regionen des Erzgebirges existiert der Brauch, jedem neugeborenen Jungen einen Lichterbergmann und jedem Mädchen einen Lichterengel in die Wiege zu legen. In der Vorweihnachtszeit wurden diese Figuren dann in die Fenster gestellt und somit war bereits von außen sichtbar, wie viele Jungen und Mädchen im Haus lebten. In Grünhainichen entstehen seit dem Jahre 1912 ganz besonders schöne Figurengruppen. In den zwanziger Jahren schufen Grete Wendt, Olli Wendt und Grete Kühn unvergleichliche Jugendstilgruppen.
Aus dem 18. Jahrhundert stammt der bärbeissig dreinschauende Nussknacker als Nachbildung der menschlichen Figur. Wilhelm Friedrich Füchtner hat um 1870 den berühmten Nussknackerkönig geschaffen, den sein Enkel heute noch herstellt. Ursprünglich, und bei älteren Stücken weist die Bemalung auch noch darauf hin, gehörte der Nussknacker zum Kinderspielzeug. So sind die ersten noch erhaltenen Figuren in ein Kostüm gesteckt, das teils an Harlekinsanzüge, teils an Militäruniformen erinnert. Besonders auf den Weihnachtsmärkten in den Städten fanden die Figuren der erzgebirgischen Handwerker und Spielzeugmacher großen Absatz. Der Nussknacker gelangte zu seiner volkskünstlerischen Bedeutung, als im 19. Jahrhundert seine eigentliche Zweckbestimmung in den Hintergrund trat und er immer häufiger als Geschenk diente bzw. zur romantischen Traditionsfigur erhoben wurde. Die hölzernen Docken wurden mit Krone und Husarenjacke ausgestattet oder erhielten eine Militäruniform in zeittypischer Farbenpracht. Der Grundtyp, gedrechselt als einfache Dockenform ist seitdem in vielen Figurationen variiert worden und bekam wohl durch E.T.A. Hoffmann seine literarische Unsterblichkeit.
Auch beim Schwibbogen wird eine starke Assoziation zum Bergbau deutlich. Der Schwibbogen stammt aus dem westerzgebirgischen Raum.
Er geht vermutlich auf eine am Stolleneingang aufgehängte Bergwerksleuchte zur Mettenschicht am Zechenheiligabend zurück. Zu dieser Mettenschicht schenkte der Bergschmied seiner Knappschaft einen Weihnachtsleuchter aus Eisen, der in Achitektur wie auch in der bergmännischen Stollenausmauerung Schwibbogen genannt wurde. Der älteste erhaltene Schwibbogen ist mit der Jahreszahl 1778 versehen. Im Bogeninhalt waren zunächst bergmännische Berufssymbole und Wappen neben religiösen Motiven üblich.
Diese änderten und erweiterten sich im Laufe der Zeit. Heute wird der Schwibbogen vorwiegend aus Holz gefertigt, und als Bogeninhalt gibt es eine Vielfalt figürlicher Darstellungen.
Schon im Altertum wurden wohlriechende Kräuter, Harze und Hölzer verbrannt um die bösen Geister zu vertreiben und die Guten herbeizulocken. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Rauchmann zum Gegenstand erzgebirgischer Spielzeugmacher. Die Schöpfer der ersten gedrechselten Räuchermännchen waren die Seiffener Ferdinand Frohs und Gotthilf Friedrich Haustein.
Das Männchen stellt, immer Pfeife rauchend, in einer schier endlosen Vielfalt an Motiven die gemütliche Seite das Lebens dar. Der Grundaufbau ist jedoch über die Zeit bei allen Entwürfen erhalten geblieben. Der Hauptkörper des Räuchermannes besteht aus einem hohlgedrechselten Körper, der nach unten offen ist und oben eine kleine Öffnung für den Rauchabzug hat. Die untere Öffnung wird mit einem Sockel verschlossen, auf dem das Räucherkerzchen steht. Um die Struktur des Holzes sichtbar zu machen, sind ein Großteil der Räuchermännchen nur farbig lasiert.
In den ersten Jahrzehnten des 19. Jh. liegen die Anfänge der Konstruktion sich drehender Pyramiden, angetrieben durch aufsteigende Kerzenwärme. Eine der ältesten Pyramiden, um das Jahr 1800 gebaut, hat statt Kerzen noch Rüböllämpchen.
Vorläufer der erzgebirgischen Pyramide waren statische, durch Stäbe gebildete, pyramidenförmige Weihnachtsgestelle, umwickelt mit Tannengrün.
Heute kommen neben Einzelstücken, die als Hänge-, Stab-, Ständer- oder Blechpyramide gebaut werden, vor allem Stufenpyramiden in den Handel. Auf zwei, drei oder vier Etagen drehen sich Engel, Waldleute, Krippenfiguren oder Soldaten. Gemeinsam ist allen Pyramiden eines – durch die aufsteigende Wärme brennender Kerzen wird mittels eines Flügelrades eine Drehbewegung erzeugt, die dann ganze Weihnachtsgeschichten, Engel, Bergleute und andere heimatstypische Figuren an unseren Augen vorbeiziehen läßt. Noch grössere, elektrisch betriebene Pyramiden stehen in der Adventszeit in zahlreichen Orten und geben einen wunderbaren Rahmen für den Weihnachtsmarkt ab. Die Pyramiden gelten übrigens als Vorgänger des weihnachtlichen Tannenbaumes.